Anhaltende Niedrigzinsphase: Bilanzielle Belastung der Unternehmen reduzieren – Investitionskraft stärken!
Die gesetzlich vorgegebenen Bewertungsvorgaben zwingen viele Unternehmen dazu, ihre langfristigen Rückstellungen massiv zu erhöhen. Dies wirkt sich negativ auf das jeweilige Jahresergebnis aus, schwächt die Investitionskraft und reduziert die Bereitschaft, Zusagen zur betrieblichen Altersvorsorge zu geben. Da es sich um einen rein bilanziellen Effekt handelt, ist schnelles Handeln durch die Politik nicht nur geboten, sondern auch mit einfachen Mitteln möglich.
Zur Rechnungslegung verpflichtete Unternehmen müssen zum Ende eines jeden Geschäftsjahres eine Bilanz aufstellen. Auf der Passivseite dieser Handelsbilanz sind neben den Verbindlichkeiten des Unternehmens auch die Rückstellungen für in der Zukunft liegende Verpflichtungen abzubilden. Diese sind unter anderem für die Zusagen an Beschäftigte zur betrieblichen Altersversorgung, aber etwa auch für Rückstellungen zur Bewältigung technischer Altlasten.
Rückstellungen sind grundsätzlich in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung unter Berücksichtigung der künftigen Preissteigerung notwendigen Erfüllungsbetrages in die Bilanz aufzunehmen. Dies ist bei Geldforderungen grundsätzlich der Nennbetrag. Für Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr ist dieser Betrag gem. § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB abzuzinsen.
Wesentlicher Faktor für die Berechnung der notwendigen Rückstellungen ist damit der künftig zu erwartende Marktzinssatz. Die Abschätzung dieses Faktors für die Abzinsung erfolgt nicht frei durch die Unternehmen, vielmehr hat der Gesetzgeber dazu in § 253 Abs. 2 HGB eine Regelung getroffen.
Mit dem BilMoG und der damit einhergehenden Annäherung an internationale Abschlüsse wurde in §253 Abs. 2 HGB die Abzinsung von Rückstellungen auf Basis des jeweiligen der Restlaufzeit der Verpflichtung entsprechenden durchschnittlichen Marktzinssatzes eingeführt.
Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise 2007 / 2008 führte die EZB sukzessive Maßnahmen einer expansiven Geldpolitik ein. Schrittweise wurde der Leitzins gesenkt, seit März 2016 gilt für Deutschland ein Leitzins von 0,0%. Gleichzeitig wurden Anleihekaufprogramme auferlegt und erweitert. Beide Maßnahmen drücken seitdem das Zinsniveau und damit auch die zur Abzinsung von Rückstellungen anzuwendenden Zinssätze. Der Mechanismus, mit sicheren Kapitalanlagen bei „normalem“ Zinsniveau Rückstellungszuführungen zu finanzieren, gerät bei einem niedrigen Zinsniveau zunehmend aus dem Gleichgewicht. Dies führt zu stetigen und erheblichen Rückstellungszuführungen, da die Barwerte der Rückstellungen durch einen Zinsrückgang steigen. Die Rückstellungszuführungen führen zu Ergebnisbelastungen, die rein aus der handelsrechtlichen Bewertung von Rückstellungen resultieren – der künftige aufgepreiste Erfüllungsbetrag muss praktisch schon heute in der Bilanz stehen. Dieser Bilanzeffekt kann damit Investitionen hemmen, Pensionszusagen unattraktiver machen oder Unternehmen in grundlegende wirtschaftliche Schwierigkeiten führen.
Die im Jahr 2016 durch eingeführte Erweiterung des Durchschnittszinssatzes für Pensionsverpflichtungen auf einen zehnjährigen Durchschnittszins brachte nur eine temporäre Reduzierung der Zuführungsbeträge für zwei Jahre. Durch den Zehnjahresdurchschnitt wird bei anhaltendem Zinsniveau das Zinstal, ab dem keine weiteren Zuführungen durch ein absinkendes Zinsniveau aufkommen, sogar weiter in die Zukunft verlagert.
Dieser Effekt greift u.U. auf Dauer auch das Eigenkapital an und entzieht Liquidität, die dann nicht mehr für Investitionen zur Verfügung steht – obwohl sich an den sonstigen Geschäftsgrundlagen nichts geändert hat. Es kann jedoch nicht Sinn der Bilanzregeln sein, die Unternehmen wegen der Auswirkungen der expansiven Geldpolitik der EZB auf die Rückstellungsbewertung in wirtschaftliche Bedrängnis zu bringen. Hier kann und muss zeitnah korrigiert werden, um die temporär starke Ergebnisbelastung der Unternehmen durch verhältnismäßig hohe Rückstellungszuführungen zu reduzieren.
Diese Entwicklung steht auch dem Ziel der Politik entgegen, die betriebliche Altersvorsorge in Deutschland zu fördern. Die trifft besonders die Unternehmen, die in signifikantem Umfang mittels Rückstellungen binnenfinanzierte Versorgungszusagen geben – die am weitesten verbreitete Zusageform in Deutschland. Hinsichtlich der Möglichkeit, auf Gehaltsbestandteile zu verzichten und diese mittels Entgeltumwandlung im Unternehmen zu „investieren“ sind diese Unternehmen im internationalen Wettbewerb z.B. gegenüber angelsächsischen Unternehmen mit Aktienprogrammen im Ergebnis benachteiligt.
Pensionsverbindlichkeiten sind – wie auch langfristige technische Rückstellungen, sehr langfristige Verbindlichkeiten. Wenn Mitarbeiter noch viele Jahre vor ihrer Pensionierung stehen, dann wird deutlich, dass die Unternehmen die dafür vorgesehenen Mittel eher vergleichbar mit dem Eigenkapital verwenden und investieren können. Mitarbeiter können diese bilanziellen Kredite an das Unternehmen nicht vorzeitig fällig stellen. Diese auch im Betriebsrentenrecht gewollte Investitionsmöglichkeit wird den Unternehmen derzeit genommen.
Deshalb ist die Politik ist gefragt, Lösungen zu unterstützen, die den Umfang der barwertigen bilanziellen Verbindlichkeiten zu reduzieren, sowohl im deutschen Handelsgesetzbuch als auch nach internationaler Rechnungslegung. Mit einem kleinen rechtlichen Hebel könnte das eine signifikante Eigenkapitalstärkung bedeuten – sowohl in der Bilanzierung nach nationalen als auch internationalen Regeln.
Um den Unternehmen schnell zu helfen und die notwendigen Investitionen zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie und zum klimagerechten Umbau der Wirtschaft zu ermöglichen, schlagen wir als kurzfristige Lösung eine Änderung des § 253 Abs. 2 HGB dahingehend vor, dass die Rückstellungen mit einem Festzinssatz von 3,5 % abzuzinsen sind (dieses Modell war bereits 2016 vom IDW vorgeschlagen worden). Bis zur BilMoG Gesetzesnovelle war ebenfalls ein Festzinssatz festgelegt, der den Unternehmen Planungssicherheit gab. Das vom Gesetzgeber heute in § 253 Abs. 2 HGB vorgegebene Modell ist weder rechtlich noch wirtschaftlich zwingend, sondern lediglich ein vorgegebenes Bewertungsmodell.
Perspektivisch sollte eine tragbare und zukunftsfähige Lösung für eine neue Festlegung des Rechnungszinses in der Handelsbilanz erarbeitet werden die insbesondere den erteilten Versorgungszusagen gerecht wird und dabei den Gläubigerschutz einerseits und die Informationsanforderungen der sonstigen Adressaten eines Handelsbilanzabschlusses andererseits berücksichtigt.
Die Verpflichtungen der Unternehmen bleiben uneingeschränkt bestehen, lediglich der bilanzielle Ausweis ändert sich. Es bleibt sichergestellt, dass der Erfüllungsbetrag zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung steht. Da nur die handelsrechtliche und nicht die steuerrechtliche Bilanzierung geändert wird, verändert sich die Einnahmeseite des Staates nicht.